Karl Stecher
Federkielsticker, Sattler, Raumausstatter
BESTECHENDES HANDWERK
Der Federkielsticker Karl Stecher verziert in Gmund am Tegernsee Trachtengürtel, Träger von Lederhosen, Jagdrucksäcke und Pferdegeschirre mit hauchdünnen Fäden aus Pfauenfedern. „Hofsattlerei und Tapeziergeschäft“ steht in altdeutscher Frakturschrift an der Hausfassade, verziert mit einem Ensemble aus herrschaftlicher Kutsche und vornehmen Reitern. Vor 200 Jahren begründete der Ur-Urgroßvater Anton Stecher das Sattlergeschäft und heute wächst der Sohn in den Beruf hinein. Wir haben Karl Stecher bei der Arbeit über die Schulter geschaut – und dann Platz gemacht für den nächsten Kundentermin: hoher Besuch aus Katar. Karl Stecher’s seltene Handwerkskunst ist international gefragt. Er selbst ist dabei bodenständig und bescheiden geblieben.
Steckbrief:
Name: Karl Stecher
Geburtstag: 15.12.1957
Geburtsort: Tegernsee
Wohnort: Gmund
Worum geht’s? Traditionelles Handwerk
Leder ist fest und das Sticken gleicht eher einem Durchstechen – Ihr Name ist also Programm. Waren die Stechers schon immer Federkielsticker?
Mein Ur-Urgroßvater Anton Stecher hat 1825 die Sattlerei bzw. eine Sattlergrechtsame erhalten. Wir sind stolz darauf, heuer 200-Jähriges zu feiern. Sattler bin ich bereits in der sechsten Generation. Die Federkielstickerei hat mein Vater nach dem Krieg in der Nähe von Innsbruck von einem altem Federkielsticker erlernt – und dann an mich weitergegeben. Jetzt lernt mein Sohn im dritten Ausbildungsjahr wiederum Sattler und ich gebe auch die Federkielstickerei an ihn weiter. Das traditionelle Handwerk bleibt in der Familie.
Was genau macht ein Federkielsticker?
Ich sticke mit zurechtgeschnittenen Kielen von Pfauenfedern aufwändige, sehr feine traditionelle Muster in pflanzlich gegerbtes, naturbelassenes Zaumleder vom Rind. Federkielsticker ist bei uns kein Lehrberuf, anders als in Tirol und Südtirol. Aus den Jahren 1802 und 1803 stammen die ältesten Federkielstickereien. Sie zieren die breiten Gürtel, die vor allem im Alpenraum getragen werden. Vorher hat man mit feinem Ziegenleder gestickt, Zirm genannt, daraus hat man feine Streifen geschnitten und damit gestickt. Aber erst mit den Pfauenfedern wurde diese Feinheit bei der Stickerei erreicht. Die Kunst besteht vor allem darin, die Federkiele sehr fein zurechtzuschneiden.
Bevor Sie Ihr spezielles „Stickgarn“ verwenden, müssen Sie es also zuerst herstellen – die Pfauenfederkiele in dünne Streifen schneiden. Wie genau machen Sie das?
Je feiner ich die Federkiele schneide, umso feiner wird die Stickerei. Schneller würde es gehen mit gröberen Kielstreifen, aber mein Anspruch ist, so fein wie möglich zu sticken. Mein Vater hat mir alles beigebracht und ich habe mir noch einiges bei den Tirolern abgeschaut und weiterentwickelt. Mein Vater hat die Kiele mit einem alten Glattrasiermesser geschnitten und ich habe ein Patent mit Rasierklinge entwickelt. Der alte Federkielsticker in Innsbruck, bei dem mein Vater gelernt hat, hat die Kiele sogar mit einem Stück Stahl von einer alten Sense zurechtgeschnitten… Jeder hat dabei so seine Tricks und die werden natürlich nicht im Detail verraten (lacht).
Worauf kommt es noch an?
Ich schaue vor allem drauf, dass ich schöne weiße Federkiele bekomme. Der Federkiel besteht außen aus Horn und innen ist Mark. Beim Schneiden der Federn muss ich einen gewissen Anteil des Marks drin lassen. Wenn ich zu viel davon herausnehme, ist der Federkiel nicht mehr weiß, sondern wird trüb und es schimmert das Leder hindurch. Die Stickerei soll sich aber schön weiß auf dunklem Grund abheben. Die große Kunst besteht darin, genau die richtige Menge vom Mark drin zu lassen.
Pfauenauge, sei wachsam – was ist die besondere Herausforderung beim Sticken mit Federkielen im Vergleich zum Sticken mit Garn?
Ein Faden ist rund gesponnen, ein geschnittener Federkiel ist flach. Aus einem Federkiel erhalte ich vier Teile. Diese „Fäden“ sind nur so lang, wie der Federkiel lang war. Ich muss also häufiger einen neuen Federkiel nehmen, als es bei einem Faden von der Rolle der Fall wäre. Die Anfänge und Enden müssen perfekt übereinandergelegt werden, auf der Rückseite ist ein kleiner Knopf, so nennen wir den Knoten. Beim Sticken muss der Federkiel immer mit der glänzenden Hornseite nach oben liegen. Das ist eine besondere Methode, die der Flachstickerei ähnelt. Nur, dass ich keine Nadel habe. Mit einer feinen Aale steche ich Löcher ins Leder und fädele den Federkiel hindurch. Die Kunst ist, die Stiche ganz eng beieinander zu setzen, damit keine Lücke entsteht. Die Löcher dürfen sich aber nicht berühren, sonst sticht man den vorhergehenden Stich ab. Das erfordert viel Übung.
Sie können nicht direkt mit dem Sticken loslegen, zuerst bereiten Sie das Leder vor. Wie genau?
Ich benötige einen Stickgrund: Die Rückseite des Leders bekommt einen Leinenstoff. Weil es so viele Stiche auf engstem Raum gibt, ist die Gefahr groß, dass das Leder abgestochen wird. Das bedeutet, es könnte kaputt gehen oder reißen, weil es durch die eng aneinandergesetzten Stiche perforiert und daher instabil wird. Das Gewebe schützt und stabilisiert das Leder von der Rückseite. Zwischen Stoff und Leder kommt eine Lage Karton, damit das Ganze eine gewisse Steifigkeit hat.
Sie sitzen beim Sticken auf einem sogenannten Rössl. Was ist das?
Das ist meine Werkbank, die aussieht wie ein kleines Pferd. Das Rössl hat vier Hax’n, und man sitzt drauf wie ein Reiter und vor allem bequem, das ist wichtig beim Arbeiten. Vorn am Kopf wird das Werkstück eingespannt. Das kann ich entsprechend weiterbewegen und drehen, damit ich immer gut durchstechen kann. Ohne das Rössl könnten wir nicht arbeiten.
Wer sind Ihre Kunden und was bestellen sie bei Ihnen?
Viele sind Einheimische, aber viele Kunden kommen auch von anderswoher. Manche besitzen eine Zweitwohnung am Tegernsee und für die Waldfeste möchten Sie beispielsweise auch einen traditionell gearbeiteten Gürtel haben. Diese Kunden schätzen die hiesigen Traditionen, das alte Handwerk – und meine Arbeit. Man muss ja auch sehen: Das ist nicht ganz billig. Nicht, weil ich so einen horrenden Stundenlohn habe, sondern weil diese Stickereien viele Stunden Arbeitszeit erfordern. Der Materialeinsatz ist dabei das Wenigste. Bei einem Hosenträger liegt das Material vielleicht bei etwa 150 Euro, aber mit der Stickerei kostet der Hosenträger am Ende etwa 2.000 Euro. Die Kunden wissen, das ist ein altes, traditionelles und zeitintensives Handwerk und lassen es sich auch etwas kosten.
Der bestickte Hosenträger gehört zur oberbayerischen Tracht…
Das hat sich so eingebürgert. Die aufwändigen federkielgestickten Hosenträger haben allerdings erst nach dem Krieg durch meinen Vater Einzug gehalten, vorher waren es einfachere Stickereien. Ganz früher gab es auch bei uns die breiten Gürtel zur Tracht. Das sieht man beispielsweise auf alten Stichen von den Schützentreffen. Das waren vermutlich die „Geldigeren“, etwa die Brauereibesitzer – je prunkvoller der Gürtel, desto reicher der Träger. Die Tracht hat sich über die Jahrhunderte entwickelt. D’Neureuther hier in Gmund tragen beispielsweise den flachen Samthut – „Scheiberling“ genannt – mit Gamsbart, dazu dunkelblaue Joppen und eine Lodenhose. Wird aber die Lederhose getragen, gehört der Hosenträger dazu. Viele tragen darauf eine Federkielstickerei von den Stechers. Manchmal muss ich für den Enkel die Hosenträger oder Gürtel des Großvaters ändern – den hatte dann einmal mein Vater gemacht. Das sind ja Investitionen, und die werden weitervererbt.
Wer bei Ihnen etwas bestellt, nimmt gern eine Wartezeit in Kauf. Wie lange etwa dauert das Besticken eines Gürtels oder Hosenträgers?
Es kommt darauf an, wie aufwändig die Stickerei ist, aber auf einen bestickten Gürtel muss man schon mal ein halbes Jahr warten. In einem bestickten Hosenträger stecken etwa 40 Stunden Arbeitszeit.
Gürtel, Hosenträger… was fertigen Sie noch?
Ich mache tatsächlich hauptsächlich Hosenträger, das wird hier im Tegernseer Tal oder im Oberland am meisten nachgefragt – vor allem von den Trachtenvereinen. Seltener mache ich die breiten, bestickten Gürtel, die eher in der Chiemgauer Gegend und im Tirol zuhause sind, die tragen beispielsweise die Gebirgsschützen. Dann besticke ich Handtaschen und Geldbörsen, die ein Täschner anfertigt. Hin und wieder bekomme ich auch Aufträge für Hundehalsbänder.
Ihre Jagdrucksäcke sind weit über Bayern hinaus beliebt bei Kunden mit Rang und Namen…
Die gehen nach ganz Deutschland und in die ganze Welt. Die normale Ausstattung ist mit Lederriemen, wie es bei den Jägern üblich ist. Wir verwenden ein stabiles grünes Leinen aus Österreich für den Rucksack. Auf den Trägern ist eine einfache Verzierung in Form einer Lederstickerei. Das ist unsere Handschrift, so haben es schon der Vater und der Großvater gemacht – Verzierungen, wie sie auch bei den Pferdegeschirren vorkommen. Die edle Variante ist dann mit Federkielstickerei. Da sticke ich oft Initialen und Familienwappen ein.
Was gehört zur Arbeit eines Sattlers?
Der Beruf ist aufgeteilt in zwei Spezialisierungen: Reitsportsattel und Pferdegeschirre. Mein Vater und ich haben 30 Jahre gemeinsam in der Werkstatt gearbeitet und in dieser Zeit auch einige Pferdegeschirre gemacht. Heute konzentriere ich mich mehr auf die Federkielstickerei. Große Brauereipferd-Geschirre brauchen viel Zeit, wenn man allein daran arbeiten würde, bliebe alles andere liegen. Mit meinem Sohn fertige ich momentan aber einen Zweispänner für uns selbst an, zu zweit geht es halt dann doch besser.
Ein prächtig verziertes Pferdegeschirr ist auch in Ihren Werkstatträumen ausgestellt…
Ludwig lernt jetzt die ganze Bandbreite bei mir in der Ausbildung, darum haben wir heuer für unsere eigenen Kaltblüter eins gemacht. Es ist ein traditionelles Arbeitsgeschirr mit Spitzkummet, wie es bei uns im Oberland gefahren wird. Das Geschirr ist komplett in Leder gearbeitet. Ein richtiges, g‘scheites Geschirrleder – das muss auch etwas aushalten, das sind ja große Pferde. Geschmückt ist es mit einer Lederstickerei. Die Technik ist ähnlich wie die Federkielstickerei, aber eben viel größer. Das Tegernseer Seelaub ist unter anderem eingestickt.
Ihre Geschirre sieht man auch beim traditionellen Rosstag in Rottach-Egern und zur Leonhardi in Kreuth?
Da laufen schon einige von uns mit, die der Vater und ich gemacht haben.
Die Hofsattlerei wurde als Familienbetrieb 1834 begründet, steht an der Hausfassade…
In alten Chroniken von Gmund haben wir entdeckt, dass unser Ur-Urgroßvater Anton Stecher bereits 1825/26 mit der Eröffnung einer Sattlerei erwähnt ist. Deshalb feiern wir in diesem Jahr das 200-jährige Bestehen. Der Urgroßvater hat später 1899 den Titel „Herzoglich bayrischer Hofsattler“ von der Herzoglichen Familie erhalten. „Hofsattlerei und Tapeziergeschäft“ steht an der Fassade. Sattler und Tapezierer war früher ein und derselbe Beruf. Wir haben auch Sofas und Kastenmatratzen bezogen, klassische Polsterungen gemacht, Teppiche verlegt und tapeziert. Daraus ist später der Raumausstatter geworden. Meine erste Lehre war auch Raumausstatter, danach habe ich Sattler gelernt.
Während wir hier sitzen, klingelt zweimal das Telefon mit Anfragen, die Sie ablehnen müssen. Was machen Sie alles nicht?
Koffer- und Taschenreparaturen! Dafür gibt’s den Täschner. Ich repariere auch keine Schuhe, dafür gibt’s den Schuster. Und keine Autoverdecke oder -sitze, das macht der Autosattler. Manchmal freuen sich die Leute, wenn sie irgendwo etwas günstig kaufen. Das geht dann entweder schnell kaputt oder passt nicht gescheit, wie Landhaus- oder Trachtengürtel. Dann möchten sie es richten lassen. Dafür habe ich nicht die Zeit und vor allem: Ich möchte es auch nicht. Ich mache meine eigenen Arbeiten, übe ein traditionelles Kunsthandwerk aus, damit bin ich ausgelastet, glücklich und zufrieden.
Ludwig ist in die Werkstatt hineingewachsen, so wie Sie einst bei Ihrem Vater?
Als Kind hat er schon mithelfen dürfen, droben auf dem Pferdebock, die Pferdegeschirre mit Pinsel und Lederfett schmieren, die Kanten von den Riemen färben. Jetzt ist er im dritten Ausbildungsjahr. Die genaue Berufsbezeichnung ist Reitsportsattler. Zur Gesellenprüfung muss er einen Reitzaum machen. Bei den Reitsport-Zaumzeugen ist die Konkurrenz aus China und Indien viel zu billig. Es werden daher später eher Einzelanfertigungen sein. Der Schwerpunkt seiner zukünftigen Arbeit wird sich ergeben.
Ludwig, war es für dich immer klar, dass du den Familienbetrieb weiterführen möchtest?
Ich hatte es daheim dauernd vor der Nas’n und dachte eigentlich, ich brauch das nicht als Ausbildungsberuf lernen. Daher habe ich zuerst ein Praktikum bei einem Mechaniker gemacht, danach aber bei einem Sattler. Dort habe ich noch mal andere Aspekte des Handwerks gesehen, dann hat es Klick gemacht und ich wusste: Ich lern es auch von der Pike! Die Familientradition möchte ich weiterführen, eigentlich käme gar nichts anderes infrage.
Mit der Hand zu Arbeiten bedeutet für Sie…
Dass es nichts von der Stange ist, sondern etwas das langsam entsteht, etwas mit Seele. Und ich habe es bei meinem Vater gesehen: Die Leute schätzen Handarbeit. Für bestimmte Arbeiten braucht man eine Nähmaschine und manches lässt sich auch mal am Schwung herrichten, wie die Riemen für die Hosenträger oder die Gürtel. Aber dann ist es wieder reine Handarbeit, die ganze Federkielstickerei vom Herrichten der Federn bis zum Sticken selbst. Damit bin ich ganz zufrieden.
Was bedeutet „Heimat“ für Sie?
Ich bin da hineingeboren in eine schöne Landschaft. Wir sind Oberbayern, worauf ich auch stolz bin, ohne dass ich mir was darauf einbilde. Schon von den Vorfahren her sind wir immer beim Trachtenverein und den Gebirgsschützen gewesen. Ich habe einen traditionellen, alpenländischen Handwerksberuf – das ist Heimat. Ich bin mit der Gasteiger Blasmusik, bei der ich 30 Jahre lang gespielt habe, auf der ganzen Welt herumgekommen, bis in den Kongo zum Oktoberfest! Aber am schönsten ist es daheim. Jetzt bin ich wieder beim Spielmannszug, wo ich als Kind angefangen hatte. Wir spielen bei Prozessionen und Volksfesten, beim Patronatstag, Skapulierfest, dem Tag der Blasmusik usw. Mein Vater war Tambourmajor, ich spiele eine kleine Trommel, mein Sohn Ludwig spielt die Lyra. All das ist Heimat.
Was ist für Sie Zufriedenheit?
Der schönste Moment ist, wenn wieder etwas fertig ist, die Leute es abholen und zufrieden sind. Wir haben einen festen Rhythmus, meine Frau kocht um zwölf Mittag, dann essen wir mit dem Sohn. Wir arbeiten alle gemeinsam in der Werkstatt, meine Frau näht beispielsweise die Rucksäcke und macht die Buchführung. Egal, ob es schönes Wetter ist oder schlechtes, ich mach hier meine Arbeit und die mache ich gern. Ich freue mich, wenn die Kunden meine Arbeit schätzen, und da mache ich auch keine Kompromisse. Sie bekommen bei mir etwas Traditionelles, Originales, aber Kitsch mache ich nicht. Ich habe mit den Jahren meine eigene Handschrift entwickelt. Die Leute sagen manchmal „das sieht man gleich, dass es von dir war“, und das freut mich.
Verraten Sie Ihren Lieblingsplatz am Tegernsee?
Ich geh mit dem Hund gern spazieren, dann setz ich mich mit ihm zum Gasthof Köck – richtig heißt er Gasthof „Gasteig“ – und trinke ein Glasl Wein. Dort gibt es einen schönen Biergarten mit Aussicht auf den See. Da kann man es gut aushalten.
Welche Freizeittipps haben Sie für Gäste am Tegernsee?
Radl fahren, Berg gehen und wer nicht so gut zu Fuß ist, kann mit der Wallbergbahn hinauf auf den Wallberg fahren und die Aussicht genießen. Vor allem: eines von den traditionellen Trachtenwaldfesten ansehen! Da spielt die Blasmusik und es gibt gutes Bier vom Herzoglichen Brauhaus Tegernsee.
Ihr Motto:
Bloß ned hudln!