Kulturtalk Jürgen Welker 008, © Jürgen Welker

Jürgen Welker

Künstler und Fußballtrainer

Betritt man das großräumige Atelier in der Rosenstraße, tut sich der Kosmos von Jürgen Welker auf: Bilder, wohin man schaut: die, an denen er im Augenblick arbeitet und welche, an denen er derzeit immer wieder weitermalt und solche, die es in seinen Augen geschafft haben, „fertig“ zu sein – obwohl, richtig fertig sind seine Bilder eigentlich nie.

Jedenfalls nicht, wenn es nach seinem eigenen, kritischen Maßstab geht. Wer mit Jürgen Welker über Kunst sprechen möchte, steht auf einem farbklecksübersäten Fußboden, muss aufpassen, wo er hintritt und der Lust widerstehen, an Ort und Stelle sogleich Fußball zu spielen.

Steckbrief:

Name: Jürgen Welker
Geburtstag: 28.10.1959
Geburtsort: Mannheim
Wohnort: Tegernsee
Worum geht’s? Gegenwartskunst

Wo ordnest du dich in der Gegenwartskunst ein?

Gar nicht. Für mich ist es wichtig, dass ich authentisch bin und mich nicht verbiege oder einem Mainstream anschließe. Dabei versuche ich immer, alles kritisch zu hinterfragen und mein eigenes Ding zu machen. Wo ich eingeordnet werde, liegt ein Stück weit im Auge des Betrachters, ich gebe nichts vor, weder Abstraktion noch Landschaftsmalerei. Meine Arbeiten sind immer eine Interpretation dessen, was ich gesehen und erlebt habe. Ich male mit kritischem Auge und ständigem Hinterfragen und lass mich nur davon treiben und sonst von gar nichts.

Du bist ein Vielmaler?

Ich male sieben Tage die Woche, egal ob ich kleine Aquarelle oder Linolschnitte mache oder an meinen großen Bildern male – ein Tag ohne kreative Gestaltung gibt es nie. Die Malerei bestimmt meinen Tagesrhythmus und meine Gedanken drehen sich immer um den Prozess des Gestaltens. Künstler bist du ja nicht nur in dem Moment, wo du an der Leinwand stehst, ein Buch schreibst oder ein Musikstück komponierst, sondern immer. Entweder Künstler oder keiner. Ganz oder gar nicht.

Vor dir liegt eine frisch aufgezogene Leinwand …

Die leere Leinwand erfordert einen ersten Schritt. Wenn der erste Schritt getan ist, ergibt sich daraus, wie es weiter geht. Ich gehe ohne konkrete Idee heran, komme aber aus einem bestimmten Rhythmus. Das letzte, vorletzte und das vorvorletzte Bild sprechen immer mit. So entsteht ein Fluss, eine Reihe. Dann gibt es Phasen, wo ich misstrauisch werde, weil es mir zu leicht von der Hand geht, und ich weiß: Jetzt muss etwas Neues kommen. Ich fange dann bewusst etwas anders an, benutze etwa ganz andere Farben. Ich mische meine Farben immer selbst aus Pigmenten, arbeite nie mit fertiger Farbe und nie steht ein Konzept am Anfang.

Das Gefühl, es geht dir zu leicht von der Hand, weckt deine Skepsis?

Genau, weil das Automatismen sind. Wenn man etwas jeden Tag tut, wird man automatisch immer besser darin. Aber es geht es nicht darum, jeden Tag ein gutes Bild zu malen, sondern darum, dass ich mich immer wieder selbst überrasche. Sobald ich merke, da kommt eine Art Wiederholung dabei heraus, übermale ich das Bild. Es geht darum, in mir Schleusen zu öffnen, damit ein Fluss entsteht, etwas, mit dem ich zufrieden bin. „Gefallen zu wollen“ oder ein Bild zu produzieren, das gut aussieht, das war für mich schon immer ein Killer.

So gesehen sind die Bilder kaum je zu Ende gemalt?

Kann sein, dass ein Bild, dass ich heute für fertig halte, in zwei Jahren verlangt, dass ich es wieder verändere. Es gibt einen Punkt, wo das Bild zu Ende ist und du weißt, der nächste Schritt macht es kaputt. Manchmal mach ich es dann trotzdem, auch in dem Risiko, dass es schief geht. Ich hinterfrage immer wieder kritisch: Hat es die Qualität, die ich von einem Bild erwarte, das ich zu Ende male?

Die Landschaften in deinem Kopf lösen sich auf den Bildern auf?  

Ich male nicht den Wallberg, den Hirschberg, den See. Das sind Bilder, die millionenfach fotografiert und deshalb schon gar nicht mehr wahrgenommen werden. Sobald man den ersten Blick drauf wirft, ist nichts mehr da. Es wäre nicht meine Intension, die hiesige Landschaft zu malen. Letztlich fühle ich Landschaft. Sie ist nicht nur visuell – der Geruch gehört dazu, die Tektonik, die Anstrengung, den Berg hinaufzukommen, das Wetter… Es ist kalt, es schneit, es regnet – das sind alles Sachen, die ich versuche, mit auf die Leinwand zu bringen. Deshalb male ich auch in dünnen Schichten, durch die man die Landschaften immer hindurch schimmern sieht. Es entsteht eine Überlagerung von vielen Landschaften und Landschaftserfahrungen, die in mir sind. Das ist mir wichtiger als das Abbilden von irgendwas.

Du hast eine spezielle Schütttechnik entwickelt…

Es geht mir um den Zufall und um Großflächigkeit. Aber am Ende geht es immer auch darum, dass die Farbe macht, was ich will – in der Komposition. Darum lenke ich sie mit dem Pinsel in Bahnen. Kein Sattel also, aber ein klein bisschen Zaumzeug muss sein. Trotzdem kann man die Bilder oft von mehreren Seiten ansehen, sie funktionieren auch auf dem Kopf, weshalb ich sie immer von der Rückseite signiere. 

Was ist typisch Welker?

Ein Wiedererkennungswert ist sicher die Größe der Bilder, die Tiefe, die diese Art der Malerei erzeugt und dass ich Serien male, auch über Jahre an einem Thema bleibe. Trotzdem - aller acht bis zehn Jahre gibt es radikale Brüche. Zehn Jahre lang war ich auf Figurenmalerei reduziert: vom Blick auf mich im Selbstporträt über den Blick auf das Paar und kleine Gruppen bis hin zu stilisierten, zum Schluss auch teils monochrome Menschenmassen. Ein klarer Weg. Als ich das Gefühl hatte, es gibt dem nichts mehr hinzuzufügen, war das Thema Mensch von heute auf morgen vorbei. Jetzt sind diese durchscheinenden, überlagerten, durch die Schichten von innen heraus strahlenden Landschaften das, was meine Malerei aus- und wiedererkennbar macht.

Kreatives Loch oder Durchhänger?

Es ist tatsächlich so, dass ich jedes Loch einfach übermale. Allein durch den Umstand, dass ich morgens aufstehe und mich meine ersten Schritte ins Atelier führen, entsteht eigentlich nie ein Loch. Weil ich nie zulasse, dass ich richtig rauskomme aus dem kreativen Prozess. Es gibt durchaus Momente, wo ich suche und nichts finde. Wenn es mal schwerer geht, male ich noch intensiver, und wenn nichts dabei herauskommt, schmeiße ich auch mal was weg. Aber ich bleibe immer, immer dran.

Malerei und Fußball – eine Wechselwirkung?

Beides hat nichts miteinander zu tun. Und doch sind es zwei Teile von mir, die ich gerne mache. Seit zwanzig Jahren trainiere ich: beginnend mit meinem kleinen, damals vierjährigen Sohn, seit zehn Jahren als Trainer in Bad Wiessee. Als Maler und Künstler male ich abgeschottet, in einer bewussten Isolation. Fußball ist das komplette Gegenteil, ebenso wie meine Malkurse für Kinder und Erwachsene. Da hole ich die Leute wieder herein, das ist etwas sehr Kommunikatives – auch in der Verantwortung des Trainers oder Kunstseminarleiters. Ein schöner Ausgleich.

Du lebst seit 20 Jahren am Tegernsee, was macht das mit deiner Kunst?

Ich lebe als Künstler in erster Linie in meiner eigenen Welt, ob am Tegernsee oder am Nordpol. Hergekommen bin ich aus Zufall – wenn es den Zufall gibt.  Angekommen bin ich immer wieder nur bei mir selbst. Die Landschaft ist es, die immer wieder in meine Bilder fließt. Hier sind es die hohen Berge, neben denen man sich klein fühlt. Die Berge setzen Grenzen, das macht etwas mit der Malerei, von der Farbgebung angefangen.

Alles fließt?

Vielleicht ist es etwas Unbewusstes: das stetige Rauschen und Fließen des Alpbaches hinter meinem Atelier und meine Arbeit, die auch ein stetiges Fließen ist. Es ist ein Irrglaube, das Kreative von der Muse geküsst werden. Die meisten erfolgreichen Künstler sind extrem disziplinierte Arbeiter. Produktiv zu sein bedeutet, einem disziplinierten Rhythmus zu folgen, den man tagtäglich anwendet.

Hast du einen Lieblingsplatz am Tegernsee?

Nicht nur einen, ganz viele. Und eine Lieblingszeit: Wenn es richtig schneit, dann bin ich am liebsten zu Fuß draußen unterwegs. Die Landschaft ist dann so verklärt, wenn man vieles nicht mehr ganz klarsieht, sondern nur noch schemenhaft, und sich richtig viel vorstellen muss und darf und kann.

Was empfiehlst du einem Freund, der dich besucht?

Er soll sich Zeit nehmen, abseits der Rushhours und Touristenströme in die Berge zu gehen. Die Königsalm ist so ein Platz, wo ich jeden gern hinschicke. Ich selbst gehe selten die normalen Wege, meist querfeldein. Von allen Seiten gibt es schöne Ein- und Ausblicke in und auf die Berge und aus den Bergen ins Tal.

Dein Lebensmotto:

Machen.  

 

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Impressionen

Kulturtalk Jürgen Welker 001, © Jürgen Welker
Kulturtalk Jürgen Welker 001

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Kulturtalk Jürgen Welker 002, © Jürgen Welker
Kulturtalk Jürgen Welker 002

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Kulturtalk Jürgen Welker 003, © Jürgen Welker
Kulturtalk Jürgen Welker 003

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Kulturtalk Jürgen Welker 004, © Jürgen Welker
Kulturtalk Jürgen Welker 004

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Kulturtalk Jürgen Welker 007, © Jürgen Welker
Kulturtalk Jürgen Welker 007

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Kulturtalk Jürgen Welker 005, © Jürgen Welker
Kulturtalk Jürgen Welker 005

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Kulturtalk Jürgen Welker 006, © Jürgen Welker
Kulturtalk Jürgen Welker 006

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