Elisabeth Hammersen & Veronika Halmbacher
Heimisches Superfood – kleine Kraftpakete mit großer Wirkung
Superfood muss man nicht wie Chiasamen oder Goji-Beeren vom anderen Ende der Welt einfliegen lassen. Er wächst auch hier, direkt vor der Haustür, und lässt sich quasi „von der Hand in den Mund“ ernten. Nachhaltiger geht es kaum. Und noch viel besser: Man kann viele köstliche Speisen und Gerichte daraus zubereiten. Die Freundinnen Elisabeth Hammersen und Vroni Halmbacher haben gemeinsam ein Buch über zwölf heimische Superfoods herausgegeben – mit vielen Rezepten zum Nachmachen. Heimisches Superfood kommt auch beim gesunden Frühstück im Gästehaus Brand auf den Tisch, denn Elisabeth ist eine unserer „Gesundes Land“-Gastgeberinnen. Wir haben den beiden beim Sammeln von Brennnessel, Brombeere & Co. über die Schulter geschaut.
Steckbrief:
Name: Elisabeth Hammersen (geb. Dießl) & Veronika Halmbacher
Jahrgang: 1986 & 1982
Geburtsort: Tegernsee
Wohnort: Rottach-Egern
Worum geht’s? Kräuterwissen, ein Superfood-Kochbuch und „Gesundes Land“-Gastgeber
Wie riecht und schmeckt „Heimat“?
Facettenreich, erdig, ehrlich, bunt, frisch, dauerhaft, gleich.
Was bedeuten für euch Gerüche?
Gerüche sind Erinnerungsspeicher. Sie können uns mit der Kindheit verbinden oder auch mit einer bestimmten Person. Und schließlich sind unsere zwölf Superfoods mit einem intensiven Geruch ausgestattet – vom Holunder bis zur Himbeere.
Erklärt kurz: Was ist heimisches Superfood?
Das sind großartige Pflanzen, die hier wachsen und wertvolle Inhaltsstoffe haben, aus denen man ganz viel machen kann. Etwa die Brennnessel, die Blaubeeren oder Haselnüsse – das sind Vitaminbomben, die kostenlos vor unserer Nase wachsen. Sie können ganz easy von den Inhaltsstoffen her mit den Superfoods mithalten, die aus der ganzen Welt kommen. Man sagt: Es wächst das vor deiner Tür, was du brauchst. Deshalb wird es schon einen Sinn haben, warum hier die Heidelbeeren wachsen und nicht die Goji-Beeren. Das bedeutet konkret, dass die heimischen Superfoods für uns ernährungstechnisch die kostbareren und wirkmächtigeren sind – und nicht die Superfoods vom anderen Ende der Welt. Allein schon beim Sammeln lösen sie Glücksgefühle aus.
„Der, der selbst sammeln kann, ist am besten dran“, steht auch in der Einleitung eures Buches. Dazu braucht man allerdings Wissen. Wie habt ihr euch das angeeignet?
Vieles haben wir schon in der Kindheit gelernt, beispielsweise, dass die Brennnessel gesund ist und nicht giftig. Aber es hat uns immer interessiert, mehr zu erfahren. Wir haben dann in Österreich einen Kurs zum TEH-Praktiker (Traditionelle Europäische Heilkunde) gemacht. Da lernt man altes, vergessenes Heilwissen. Einen großen Teil davon macht die Kräuterkunde aus. Und auch danach weiß man noch nicht alles. Aber wenn man Augen und Ohren aufhält, wächst das Wissen nach und nach. Wichtig ist: sich nicht überfordern. Es reicht auch, wenn man jeden Sommer eine Pflanze dazulernt. Man muss nicht alles können. Wir haben auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Ihr sammelt am liebsten gemeinsam …
Es ist toll, so eine Leidenschaft zu teilen. Als wir uns kennengelernt haben, ist der Funke sofort übergesprungen: Endlich ist da mein passender Freak, der sich auch so sehr für die Kräuterkunde interessiert wie ich! Dass der Funke eigentlich schon von den Großmüttern kam, haben wir erst später begriffen. Sie hatten miteinander im Krankenhaus entbunden, waren ihr Leben lang befreundet, und bei uns wiederholt sich das jetzt. Ich wollte mich nach meinem Abschluss als Heilpraktikerin noch auf die Heilkräuter spezialisieren. Vroni ist dann zur Ausbildung mitgekommen und hatte ebenso viel Spaß daran.
Wie ist die Idee mit dem „Heimischen Superfood“-Buch entstanden?
Damals ging es gerade los mit dem Superfood-Hype um Goji-Beeren & Co. Im Kurs waren wir mit einer coolen Kräuterhex‘ beim Sammeln. Wir haben so viel gelernt über heimische Heilpflanzen, was für Power da drinsteckt, und gedacht: Das ist ja irre, was da alles wächst, also wenn das kein Superfood ist! Als wir uns für die Abschlussarbeit ein Thema suchen sollten, haben wir „Heimisches Superfood“ gewählt. Und weil uns das so begeistert hat, sind wir damit weit übers übliche Maß hinausgeschossen. Es wäre schade gewesen, mit dieser umfangreichen Sammlung nichts weiter anzufangen. Die Schule war begeistert und hat dann den Kontakt zum Servus-Verlag vermittelt.
Vroni, ein beglückender Umstand war dann, dass du sogar noch die Illustrationen beisteuern konntest …
Zuerst wollten sie uns einen Fotografen schicken. Wir haben gedacht: Ihr seid's ja lustig, die Superfoods haben unterschiedliche Wachstums- und Reifezeiten. Daher sammeln wir das ganze Jahr hindurch – vom Frühjahr bis spät in den Herbst. Wie soll man das mit einem Fotoshooting abbilden? So hätte das also nicht funktioniert. Dann haben wir die Illustrationen vorgeschlagen. Von meiner Arbeitsprobe waren sie gleich begeistert: Ja, macht's! Das war dann von Anfang an eine tolle Zusammenarbeit mit dem Verlag, Vertrauen pur, sie haben uns einfach machen lassen.
Was war dir beim Illustrieren besonders wichtig?
Ich kann einfach noch viel mehr mein Herz hineinstecken, wenn ich zeichne, ich schaue die Pflanze zwei Stunden oder länger ganz genau an. Und es dauert so lange, wie es dauert. Und natürlich ist mir wichtig, dass man sie gut erkennt und zugleich sieht, dass es von Hand mit Aquarellfarben und Buntstift gezeichnet ist und nicht zu perfekt. In der Natur ist auch nicht alles perfekt.
Wie ging es dann weiter mit dem Buch? Elisabeth, wer hat was gemacht?
Zeichnen könnte ich nie, dafür liegt mir das Schreiben. Das war eine gute Arbeitsaufteilung. Vroni hat die Fotos gemacht, die Pflanzen gemalt und die Rezepte entwickelt. Das eine oder andere haben wir gemeinsam gemacht, aber insgesamt war das Schreiben eher mein Part und Vronis das Gestalterische. Deswegen sind wir so ein Dream-Team.
Heute seid ihr echte „heimische Superfoodies“ und möchtet auch andere dazu einladen, selbst zu sammeln und die Superfoods zuzubereiten. Dabei geht es nicht nur um „gesundes Essen“, sondern vielmehr auch um …?
Ausprobieren, neues lernen, die Natur entdecken, sich selbst entdecken. Es ist ein richtiges Glück, das man da erleben darf. Man läuft mit offenen Augen durch die Gegend, findet an einem besonders schönen Platz ein besonders schönes Kraut und darf es mit nach Hause nehmen. Das hat eine andere Energie, als wenn ich etwas im Supermarkt kaufe, das aus einem anderen Land kommt, vielleicht sogar mit dem Flugzeug oder gespritzt wurde. Es hat eine andere Qualität. Und Magie. Das hat mit Heimat und Dankbarkeit zu tun, auch mit Ehrfurcht. Du kannst dieses heimische Superfood kostenfrei mit nach Hause nehmen und etwas daraus zubereiten, und dann ist es auch noch voller Nährstoffe und Vitamine!
Deshalb sprecht ihr auch von der „Kraft des Sammelns“?
Es entschleunigt irrsinnig. Bis man eine Schale Heidelbeeren zusammen hat, dauert es eine Weile. Klar hat man sie für ein paar Euro schneller gekauft. Aber das Sammeln ist Genuss und Glück zugleich. Und natürlich schmeckt es vollkommen anders, intensiver. Die echten Waldheidelbeeren sind viel kleiner und aromatischer als die dicken Kulturblaubeeren aus dem Supermarkt, die nichts von dem Farbstoff und der Intensität der wilden Beeren haben. Alles ist heute unglaublich schnell und du bekommst in kürzester Zeit alles. Beim Sammeln brauchst du Stunden. Aber du bist einfach im Moment und du tust, was du tust. Das ist für uns das Entschleunigende. So ein halber Tag im Wald ist erholsam, eine richtige Therapie.
Wo sammelt ihr – und wo nicht?
Direkt am Startpunkt einer Tour oder auch direkt am Wegesrand ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich da ein Hund erleichtert hat. Man muss schon ein wenig querfeldein gehen.
Ihr habt euch beim Buch für zwölf Superfood-Pflanzen entschieden, nach welchem Prinzip?
Uns war wichtig, dass es die gängigen Pflanzen sind, die im Prinzip alle kennen, nichts Exotisches. ... von denen es auch genügend zum Sammeln gibt. Wir haben eine Mischung aus Beeren und Kräutern gewählt. Angefangen mit den Frühlingskräutern und im Herbst noch die Wacholderbeere. Vroni hat am Schluss das Jahresrad gezeichnet. Das verdeutlicht, dass es immer etwas zu finden gibt in der Natur – außer im Winter, wo alles ruht. Die Wahl war gar nicht so leicht. Es war so viel Material, wir hätten „Superfood 2“ daraus machen können.
Inwiefern widersprechen eure zwölf Superfoods dem Trend „schöner, größer, süßer“ …?
Erst mal sind unsere Superfoods kein „Trend“. Die gibt es seit Jahrtausenden. Diese Pflanzen haben sich durchgesetzt und sind hier heimisch geworden. Weil sie so robust sind, werden sie oft fälschlicherweise als Unkraut angesehen. Aber es hat seinen Sinn, dass sie sich so standhaft behaupten. Auch das Kräuterwissen ist alt, schon bei Hildegard von Bingen oder in den Büchern und Rezepten unserer Vorfahren. Das meiste davon kannst du nicht einfach kaufen oder bestellen. Du musst dir die Zeit nehmen, in die Natur zu gehen und zu sammeln, sonst kommst du da nicht ran. Das ist der entscheidende Unterschied. „Schöner, größer, süßer“ ist von Menschen gezüchtet. Die heimischen Superfoods sind so, wie sie sind, weil alles drinsteckt, was sie Gutes zu geben haben.
Inzwischen habt ihr ein neues Buch herausgebracht – „Köstliches Unkraut“ …
Das Motto des Buches ist: „Aufessen statt ausreißen. Wie man wilde Kräuter zubereitet und wieso sie so wertvoll sind.“ Darin präsentieren wir unsere Lieblingsunkräuter – „Die 9 Unartigen“. Den Rotklee kann man etwa wunderbar über den Salat streuen, als Topping über einen Kräuterquark, auf das Butterbrot. Er wirkt hormonregulierend und schmeckt schön nussig. Oder das Gänseblümchen – für viele ein Unkraut, ist aber essbar. Speziell für Kinder ist das Gänseblümchen wichtig, weil es eine sanfte Pflanze mit einer zarten Heilwirksamkeit ist. Das wissen die wenigsten. Außerdem geht’s um die Knoblauchrauke, das Gartenschaumkraut, die Vogelmiere, um Gundermann, Giersch, Löwenzahn und die Brennnessel.
Was gilt es beim Sammeln zu beachten?
Nie alles wegnehmen. Immer so viel stehen lassen, dass die Pflanze keinen Schaden nimmt. Man nimmt auch nur so viel, wie man verbrauchen kann. Davon etwas wegzuschmeißen wäre schade. Außerdem ist die innere Haltung wichtig: Dass man ehrfürchtig ist und voller Dankbarkeit, mit dem Bewusstsein, dass man der Natur gerade etwas nimmt.
Welche Utensilien empfehlt ihr fürs Sammeln?
Ein Keramikmesser – es gibt Studien, die belegen, dass der Pflanze der Schnitt nicht so weh tut. Es ist immer super, wenn man einen Stoffbeutel dabeihat, auch zwei oder drei. Wir vergessen manchmal Zeit und Raum, deshalb ist auch Sonnenschutz wichtig, genügend zu trinken, lange Hosen, wenn man beispielsweise durch die Brombeeren steigt, damit die Dornen nicht die Beine zerkratzen. Man kann also sagen: Ausstattung, richtige Kleidung, Bewusstsein und eine Idee, was man mit dem Sammelergebnis machen möchte. Manchmal kommt aber die Idee auch beim Sammeln.
Eure Rezepte reichen von sofort essen bis länger aufbewahren und konservieren. Hab ihr einen persönlichen Favoriten?
Vroni: Jaaa! Ich mag am allerliebsten den Hollerglühzauber. Den könnte ich im Herbst zur Erkältungszeit täglich trinken, das ist mein Immunbooster. Und die Preiselbeere. Für die Preiselbeere fahre notfalls echt weit. Elisabeth: Ich bin brombeersüchtig. In der Brombeerzeit, da drehe ich durch, am liebsten esse ich sie direkt vom Strauch und pur. Eigentlich lieben wir alles.
Vroni: Aber beerenverliebt sind wir besonders.
Sehr lecker klingt beispielsweise das Sauerteigbrot mit Brennnesselsamen. Da erfordert aber ein gewisses Können. Was empfiehlt ihr Leuten, die darauf Lust haben, aber sich das nicht so ganz zutrauen?
Dann nimmt dir kein Sauerbrotrezept vor, probiere dich langsam aus. Du kannst die Brennnesselsamen irgendwo mal in einen Teig reinstreuen, experimentieren. Einfach Step bei Step. Das wollten wir auch vermitteln – nichts Dogmatisches. Einfach zuerst mal ein Gefühl dafür bekommen. Vielleicht nimmst du am Anfang die eine oder andere Pflanze in der Natur noch nicht so wahr. Wenn dein Auge offen ist dafür, wirst du immer mehr davon sehen.
Das Gästehaus Brand, dass du, Elisabeth, in die nächste Generation führst, gehört zu den „Gesundes Land Gastgebern“. Kommen die Gäste auch in den Genuss vom Heimischen Superfood?
Das Wissen und die Superfoods fließen in gewisse Rezepte mit ein, beispielsweise das Birchermüsli am Morgen, manchmal gibt es einen frischen Kräuterquark, einen Zopf, Brot mit Superfoods… Aber ich kann natürlich nicht jeden Morgen für 20 Leute Beeren sammeln (lacht). Dann vermieten wir noch die Suttenhütte an Selbstversorger. Sie liegt inmitten herrlichster Natur im Suttengebiet, die Superfoods direkt vor der Nase. Ein Kraftplatz für Menschen, die gern inmitten der Natur für sich sind und zugleich die Nähe zum Tegernsee schätzen.
Mit dem „Kranzerlbuch“ habt ihr eine weitere Leidenschaft für die Natur zwischen zwei Buchdeckel gebracht. Worum geht’s und warum sollte man das kaufen?
Das muss einfach bei jedem daheim liegen – das ist so schön zum Anschauen und man hat länger etwas davon als von einem Blumenstrauß. Es gibt 130 Illustrationen der Anleitungen zum Binden oder Stecken der Kränze, die dann im Ganzen fotografiert sind. Das Buch folgt wieder dem Jahresrad. Dabei wird von den heimischen Traditionen und Bräuchen an Ostern, Allerheiligen, Palmsonntag und auch Mystisches erzählt. Und dann ist es natürlich eine Einladung, selbst kreativ zu werden und Kränze und Sträuße für unterschiedliche Anlässe zu binden.
Inzwischen begegnet man deinen Illustrationen öfters, Vroni, erzähl doch mal…
Ich bin Grafikdesignerin und darf mittlerweile auch ganz viel illustrieren. Seit den Büchern kommen immer mehr spannende Aufträge. Es gibt zwar Illustratorinnen, aber darunter nur eine Expertin für Pflanzen – deshalb werde ich vom Servus-Verlag immer mal wieder angefragt. Gerade habe ich den Designwettbewerb von BIONADE gewonnen, die 600.000 Flaschen der Sommeredition werden heuer mit meinem Etikett bedruckt. Außerdem habe ich hier am Tegernsee den Alpenlehrpfad zwischen Altem Wallberghaus und Risserkogel mit 21 Schautafeln illustriert.
Verratet ihr eueren Lieblingsplatz am Tegernsee?
Bei mir ist es der Riederstein, bei Vroni die Neureuth. Und vor der „Kramerei“, da ist für uns ein schöner Ort zum Austauschen und neue Ideen entwickeln. Man schaut auf den See, auf das Gewusel der Leute und trinkt einen guten Kaffee.
Welche Freizeittipps habt ihr für Gäste am Tegernsee?
Elisabeth: Wandern… mit einem Keramikmesser in der Tasche und einem Stoffbeutel. Und zwischendurch nicht zu viel Programm, sich lieber Zeit nehmen zum Staunen und Durchschnaufen, Eindrücke aufsaugen. Vroni: Bei Schlechtwetter unbedingt die Papierfabrik besuchen, da gibt’s einen super Papiershop und wenn man Lust hat, kann man meine illustrierten Karten kaufen. Es ist für mich ein Glück, einen Arbeitgeber gefunden zu haben, mit dem ich mich zu 100 Prozent identifizieren kann. „Gmund Papier“ gibt es seit 1829 mit Europas ältester, noch immer in Betrieb befindlicher Papiermaschine. Die kann man bei einer Führung besichtigen.
Habt ihr ein Motto?
Geteiltes Glück ist doppeltes Glück.
Hier geht’s zur Buchrezension „Unser heimisches Superfood“
Weitere Infos zum „Gesundes Land Gastgeber“ Gästehaus Brand
Weitere Infos zur Suttenhütte.