Die ehemalige Klosterkirche St. Quirinus – Der fromme Abt von Tegernsee
Zuletzt, als es schon spät in der Nacht war, vermochte es der älteste Pater, an seiner Thüre zu pochen. Es erfolgte keine Antwort. Der Pater trat ein und was sah er? Auf dem Boden kniete der Abt, die Blicke nach dem Bilde der allerseligsten Jungfrau gerichtet. Sein Arm war ausgestreckt, die Hand zusammengeballt, als ob sie etwas hielte. Aus ihrer Höhlung drang ein heller Schein. Es war das Licht vom Reste einer Wachskerze, welche soweit herabgebrannt war, ohne daß es ihr Träger an irgend welchem Schmerz verspürte. Der Pater rüttelte ihn und rief. Erst nach langer Zeit kam er zu sich und fragte verwundert, was man von ihm wolle. Es währte abermals geraume Weile, bis man ihm klar machte, wie lange Zeit er da in Verzückung gelegen haben müsse, da die Wachskerze so weit in seine Hand hinein gebrannt war. Der fromme Abt vermeinte, er habe sich vor wenigen Augenblicken nieder gekniet.
Doch wußte er von unsäglichen Herrlichkeiten des Himmels zu erzählen, welche seinem begnadigten Blick begegnet seien. Darum wurde er vom Volke wie ein Heiliger verehrt. Als man bei Anlegung des herrschaftlichen Eiskellers die Grüfte des Klosters zerwühlte und die morschen Gebeine in großen Fuhren fortschaffte, fand man auch die wohlerhaltende Leiche dieses Frommen. Sie war an dem goldenen Kreuze kenntlich, welches den Namen des berühmten Abtes trug. Dieses Kreuz wanderte auf irgend einen Trödelmarkt.“ (Heinrich Noë: Baierisches Seebuch. München: Schöpping, 1865, S. 280f.)